An einem sonnigen Samstagmorgen sammeln sich etwa 1500 junge, alte Menschen – allein, in Gruppen, mit Kinderwagen, mit selbst gebasteltem wütendem (Wisch-)Mob oder in Guy-Fawkes-Masken auf dem Chlodwigplatz in der Kölner Südstadt. Sie sind aufgeweckt, rufen und singen eigens gedichtete, kölsche Protestlieder. Der Umzug spaziert von Bank zu Bank und zeigt Wut!

In der nächsten Woche versammeln sich genau so viele Leute am Dom, um das wachsende Unbehagen zu zeigen. Am 15. Oktober 2011 sind es deutschlandweit 40.000 Menschen, die die scheinbare Ohnmacht der 99% der Weltbevölkerung nicht mehr hinnehmen wollen. An den nächsten Terminen flacht es etwas ab. Am 11.11.11 um 11.11 Uhr trifft sich Occupy weltweit: ein Datum, welches in Köln ohnehin Massen nach draußen lockt. Der „Karneval der Empörten“ soll die ursprünglichen politischen Beweggründe wieder mit dem Fest verbinden. Nach dem Motto „Jeder ist König!“ kann sich jeder auf dem selbstgebasteltem Thron krönen lassen. Weltweit kommen wieder Tausende zusammen. „We are the 99 %!“, brüllen auch die Besetzer auf dem neu getauften Liberty Plaza in New York seit dem 17. September. Arab spring meet American fall – von dem Tahrir Platz in Kairo zieht eine Welle der Empörung in die USA und in die ganze Welt.

Einzelne stellen konkrete Forderungen, wie Nobelpreisträger und Wirtschaftswissenschaftler Joseph Stigitz. Als häufiger Besucher des Protest Camps am Liberty Plaza in Manhattan schlägt er vor, höhere Steuern für Wohlhabende und eine Finanztransaktionssteuer einzuführen. Diese ist schon länger in der Diskussion und soll das Börsenglücksspiel, bei dem auf kurzfristige Schwankungen von Kursen gesetzt wird, eindämmen. Hier würden die Spekulanten spüren, dass ihre Transfers nicht gratis von der Bühne gehen. Seit Sommer 2011 wird die „Robin-Hood Steuer“ von der CDU/CSU befürwortet. Bei Youtube kann man Jan Josef Liefers und Heike Makatsch dabei zusehen, wie sie sich über die Vor- und Nachteile der Transaktionssteuer austauschen.

Ganze Forderungslisten sind auf occupywallst.org zu lesen. Die Lage ist komplex und die Lösungsansätze sind unterschiedlich. Occupy betont die eigene Unabhängigkeit und sieht sich als Kollektiv. Einzelne Gruppen hissen ihre Fahnen und verteilen in Papierform eigene Lösungsansätze. Was eigentlich einen willkommenen Gedankenaustausch bringen kann, birgt auch eine Gefahr der Unterwanderung. So warnte die taz vor der US-Vereinigung Zeitgeist, welche eine „obskure Mischung von Religionskritik, Esoterik und Verschwörungstheorien“ propagiere. Occupy ist nicht das eine passende Medikament gegen die Erkrankung im System, sondern die Bewegung bewegt sich und schafft Raum für Ideen. Gleichgesinnte wissen voneinander und vernetzen sich. So kann man bei Facebook lesen, dass jemand woanders auf der Welt die gleiche Wut oder eine ähnliche Idee teilt. Letztendlich geht es darum, selbst mitzugestalten. Occupy will dazu aufrufen, über Missstände im System aufzuklären, mögliche Lösungsansätze zu suchen, zu finden und zu diskutieren. Der offene Dialog ist nicht klar und eindeutig, ebenso liegt der Fokus auf der Welt der Industrienationen und beachtet die Situation der Entwicklungsländer wenig. Dennoch sind Offenheit und das kritische Hinterfragen – in Köln und darüberhinaus – wichtige Eigenschaften, die unserem oft maßlosen (Wirtschafts-)system und der globalen Verteilung fehlen.

„Die Bürger bilden das Getriebe dieser Maschinerie, welche nur dazu entwickelt wurde, um einer Minderheit zu Reichtum zu verhelfen, die sich nicht um unsere Bedürfnisse kümmert. Wir sind anonym, doch ohne uns würde dergleichen nicht existieren können, denn am Ende bewegen wir die Welt.“  (aus dem „Manifest der Empörung“)

Und so werden auch die Straßen von Köln weiterhin okkupiert, das Protestcamp auf dem Chlodwigplatz begrüßt langsam den Winter, Foren wachsen, alternative Ideen bepflastern das Internet – man kann dabei sein! Occupy ist eine Plattform, die Gefühle zeigt – Wut, Freude am Miteinander, am Teilen und am Austausch. Wieder mehr Wärme in ein kaltes System zu bringen, würde allen mehr Zufriedenheit bringen.

(von Corinna Fischer)
Erschienen in der grün:fläche im Wintersemester 2011/12