Seit dem Unglück in Fukushima im März 2011 wurde auch in Deutschland wieder die Atomdiskussion angeregt. Bürger, Politiker und Medien fragen: „Wie sicher sind eigentlich unsere Atomkraftwerke?“ Zwar liegen die 17 deutschen AKW nicht in so stark gefährdeten Erdbebenregionen wie in Japan, aber Stromausfälle durch Blitzeinschlag, Verstopfung von Kühlanlagen oder unglückliche Verkettung von menschlichem Versagen sind nicht auf Regionen bezogen, sondern können jedes Kraftwerk treffen. Die Unglücke in Harrisburg (1979) und Tschnobly (1986) schienen nicht nachhaltig genug zu sein, um die Menschheit zum Umdenken zu bewegen. Deshalb veröffentlichte die Autorin Gudrun Pausewang 1987 ihren Roman „Die Wolke“, in dem sie eine atomare Katastrophe inmitten der dicht besiedelten Bundesrepublik inszenierte. Bis 2010 wurden 1,5 Millionen Exemplare verkauft, durch den GAU in Japan erreichte das Buch erneut die Bestellerlisten und das Interesse einer neuen Generation. Das Werk wurde mit dem Deutschen Literaturpreis ausgezeichnet.

Die Handlung von „Die Wolke“ beginnt im Osten von Hessen, wo die 15-jährige Janna-Berta und ihre Mitschüler während des Unterrichts von einem Katastrophenalarm überrascht werden. Panik bricht aus, als bekannt wird, dass es im Atomkraftwerk Grafenreinfeld zu einem kerntechnischen Unfall gekommen ist. Janna-Berta macht sich sofort auf den Weg nach Hause, wo ihr kleiner Bruder Uli sie schon aufgeregt erwartet. Die Eltern sind an diesem Tag mit dem Babybruder Kai in Schweinfurt und zunächst sind sich die Geschwister unsicher, wie sie sich verhalten sollen. Während die Polizei in Durchsagen dazu auffordert Türen und Fenster geschlossen zu halten und ruhig zu bleiben, flüchten die Nachbarn in vollbeladenen Autos Richtung Autobahn. Nach einem Anruf der Mutter machen sich Janna-Berta und Uli mit Fahrädern auf den Weg nach Bad Hersfeld, von wo sie mit dem Zug weiter nach Süden fahren wollen. Auf der Fahrt kommt Uli bei einem Unfall ums Leben und Janna-Berta wird, völlig traumatisiert, von einer Familie zum Bahnhof mitgenommen. Unfähig eine Entscheidung zu treffen, irrt sie dort umher, gerät in einen radioaktiven Regenschauer und landet schließlich stark geschwächt in einer Notunterkunft in Herleshausen. Lange weiß sie nicht, was mit ihren Eltern passiert ist und erst nach und nach stellt sich heraus, dass es sich bei dem Unfall in Grafenreinfeld um einen viel größeres Unglück handelt, als damals in Tschernobyl.

Sie fuhren mit geschlossenen Fenstern, obwohl es sehr warm war. „Sicher ist sicher“, meinte Helga. Sie ließ Janna-Berta auch nicht aus einer eingefasste Quelle trinken. „Man kann nie wissen“, sagte sie. Erst bei Göttingen wagte sie sich auf die Autobahn Kassel-Hamburg. Sie aßen zusammen in einer Raststätte. Janna-Berta traute ihren Augen nicht, als sie die Preise sah.

„Das Fleisch ist aus Übersee und das Gemüse auch“, erklärte Helga. „Nur die Kartoffeln sind deutsch. Noch aus der alten Ernte. Im nächsten Jahr werden auch die Kartoffeln von anderswo kommen müssen – für die, die’s bezahlen können.“
„Und was essen die, die’s nicht bezahlen können?“, fragte Janna-Berta.
„Das Billigere“, antworte Helga.
Janna-Berta nickte: Das also würde der neue Unterschied zwischen Arm und Reich sein.
(Seite 127)

Sehr beeindruckend erzählt Gudrun Pausewang die Geschichte der 15-Jährigen, die von heute auf morgen in einem zerstörten Land leben muss, in der keiner mehr das Deutschland sehen kann, das vor dem Unglück existierte. Ein Mädchen, die nicht weiß, was mit ihrer Familie ist und deren Zukunft sich einfach in Luft aufgelöst hat. Ein Roman, der bewegt, mitfühlen lässt und wütend macht. Eine Geschichte, die Fiktion bleiben soll.

Die Wolke – Gudrun Pausewang
erschienen im Ravensburger Verlag, Taschenbuch 5,95€

(Buchempfehlung von Anna-Teresa Geisbauer)
 Erschienen in der grün:fläche im Wintersemester 2011/12