Zwei junge Studenten spazieren händchenhaltend durch Köln-Lindenthal. Sie freuen sich auf einen sonnigen, unbeschwerten Nachmittag. Zwei andere junge Männer kommen ihnen entgegen. Als sie nur noch ein paar Meter von einander entfernt sind, hustet einer von ihnen in seine Faust. Nicht laut, aber deutlich ist für das händchenhaltende Paar das Wort „Homo!“ zu vernehmen. Der unbeschwerte Nachmittag ist dahin.
Ähnliche Situationen sind für viele Menschen Alltag. Sie sind Beleidigungen, die kaum geahndet werden können, sowie gewalttätigen Übergriffen ausgesetzt. Formen wie diese kennen wir aus rassistischen und antisemitischen Kontexten: Da ist jemand anders als die anderen. Man will meinen, dass in einem demokratischen, bürgerrechtlichen Staat Diskriminierung von gesellschaftlichen Minderheiten kaum Thema ist. Schließlich hat sich die Republik den Schutz von Anderssein als Recht eines jeden im Grundgesetz festgeschrieben: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ Doch die Realität sieht oft ganz anders aus und das gerade für Menschen, die sich selbst als Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und Intersexuelle (LSBTI) verstehen und zu unrecht bisher nicht in den zitierten Artikel 3.3 des Grundgesetzes aufgenommen worden sind.

Meist stehen LSBTI nicht diskriminierenden Menschen gegenüber, die aus Überzeugung heraus andere bewusst geringschätzen und angreifen, sondern es wird deutlich, dass die letztendliche Diskriminierung nur Resultat eines tiefer gehenden Problems ist. Homophobie, im Sinne einer Aversion gegen LSBTI, ist keine klassische klinische Phobie. Der Begriff drückt aber gerade passend die irrationale Angst und die damit verbundene argumentativ überhaupt nicht begründbare Feindseligkeit aus. Eine von Angst dominierte, innere homophobe Haltung ist juristisch nicht strafbar und so grenzt unsere rechtsstaatliche Ordnung an ein homophob-gesellschaftliches System. Damit sind wir beim Kern des Problems: Unser gesellschaftliches System setzt Bedingungen voraus und gibt Rahmen vor, die einer gesellschaftlichen Inklusion von LSBTI entgegengesetzt sind, die stetig mit Vorurteilen tradiert werden. So sind Schwule „verweiblicht“ und „Kampflesben“ wollen sowieso lieber Männer sein oder hatte anscheinend bloß noch keinen richtigen Kerl. Anstatt die bestehende Verbindung von biologischen Geschlecht und sozialer Rolle kritisch zu hinterfragen, sich einzugestehen, dass wir in einer vielfältigen Gesellschaft leben und nicht Heterosexualität als gängige Norm vorausgesetzt werden kann, und sich klar zu werden, dass es keine Polarität von männlich und weiblich gibt, ebenso wenig wie von homo- und heterosexuell, wird lieber weiter in homophoben Formen kategorisiert und eine Gruppe stigmatisiert, bei denen man mal nonchalant zur „schwulen Sau“ übergehen kann.

Auch die Universität und die Wissenschaft sind von der Homophobie nicht gefeit. Neben kritikwürdigen Äußerungen besonders im Jahr 2009 von einer Kölner Dozentin, findet man als ersten Treffer zu „Homosexualität“ im Kölner Uni-Katalog „KUG“ einen Titel, dem folgende Passage entnommen ist: „Dass Homosexualität nicht änderbar sei, ist einer der wichtigsten – und freilich weit verbreiteten – Irrtümer der Debatte.“ (Hempelmann, Heinzpeter: Liebt Gott Schwule und Lesben? Gesichtspunkte für die Diskussion über Bibel und Homosexualität. Wuppertal 2001, S.35). Gerade reaktionäre-religiöse Kreise greifen auf veraltete Studien zurück, ignorieren aktuelle Forschungsdiskussionen und propagieren eine „Heilung“ oder „Therapie“ von Homosexualität. Und das obwohl die Weltgesundheitsorganisation (WHO) am 17.5.1990 Homosexualität aus ihrem Diagnoseschlüssel der Krankheiten strich. Als Mahnung hieran wurde der 17. Mai zum International Day Against Homophobia IDAHO. In Deutschland ist die numerische Verbindung eine potenzierte Mahnung, da der berühmtberüchtigte §175 StGB besonders im Dritten Reich, aber auch in der jungen BRD herangezogen wurde, um Schwule systematisch zu verfolgen und zu inhaftieren; eine Entschädigung ist bis heute nicht erfolgt.

Jedes Jahr wollen LSBTI und ihre Freund_innen nicht nur vor vergangene Zeiten der staatlichen Unterdrückung mahnen, sondern sich gegen Homophobie und strukturelle Diskriminierung einsetzen. Dieses Jahr steigen dazu überall auf der Welt bunte Luftballons mit einer anhängenden Botschaft gegen Homophobie auf.

(von Max Christian Derichsweiler)