Am zweiten Aprilwochenende kamen Neonazis in Stolberg bei Aachen zusammen, um in zwei Märschen ihrer menschenverachtenden und demokratiefeindlichen Gesinnung Ausdruck zu verleihen. Am Freitag geschah dies mit einem Fackelmarsch, der nicht zuletzt an schreckliche Ereignisse des frühen Nationalsozialismus erinnerte. Am Samstag marschierte dann eine größere Gruppe Neonazis durch die Innenstadt Stolbergs. Dies taten sie schon im Jahre 2008 und 2009 und sorgten damit für Empörung bei vielen antifaschistisch eingestellten Menschen in ganz Nordrheinwestfalen, Belgien und den Niederlanden, die sich auch in diesem Jahr zu Wehr setzten.

Stolberg ist nicht zufällig zum Austragungsort rechtsextremer Events ausgewählt worden. Zwar beziehen sich Neonazis nicht auf den zweiten Weltkrieg, wie dies beim Aufmarsch im Februar in Dresden anlässlich der Bombardierung durch die Alliierten geschah, doch trotzdem wird auch hier jüngere Geschichte massiv verdreht, um ins braune Denkmuster zu passen.

Sie liest sich wie folgt:
Am 4. April 2008 kam es zu einer Auseinandersetzung zweier Gruppen Jugendlicher in der Innenstadt von Stolberg, wo ein Junge durch Messerstiche getötet wurde. Ein Streit um ein Mädchen ging der Tat anscheinend voraus, was eine politische Motivation praktisch ausschließt. Nichtsdestotrotz behaupten die Nazis, dass der Getötete einer der ihren war, der unschuldig von einem Ausländer umgebracht wurde. Damit missbrauchen sie ihn für ihre Zwecke, indem sie einen Märtyrerkult um ihn aufbauen und ihn post mortem aus purer Eigennützigkeit in ihre „Gemeinschafft“ aufnehmen. Die Perversion des Ganzen spiegelt sich auch auf Werbeplakaten wieder, wo die Frage „Willst du der nächste sein?“ gestellt wird. Die Naziszene ist seit jeher in Aachen und im Umland sehr aktiv. Die Freie Kameradschaft Aachener Land versucht mittels der Erlebniswelt Demonstration auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen und besonders junge Menschen zu rekrutieren. Ein Anwachsen der Szene in den letzten Jahren ist ein weiterer Grund dem rechten Treiben entgegenzuwirken.

Deshalb fühlten auch wir uns dazu verpflichtet an diesem Wochenende vor Ort zu sein, Flagge zu zeigen und die Nazis in ihre Schranken zu weisen. Bei allen aktuellen Fragen rund um die Integrationsdebatte, Flüchtlingspolitik und den Islam in Deutschland können nationalistische und rechtspopulistische Tendenzen zu einer echten Gefahr für Rechtsstaat und auch ganz konkret für einzelne Menschen werden, die dann als Zielscheibe aufgestauten Hasses fungieren.

Schon Stunden vor dem Großaufmarsch begaben wir uns mit vielen anderen Gegendemonstranten auf den Weg von Köln nach Stolberg. Dort angekommen besetzten wir mit etwa 700 Menschen den Bahnsteig, um die Ankunft von bahnreisenden Neonazis zu verhindern. Diese Taktik ging auf und tatsächlich konnten die Züge vorerst nicht in den Bahnhof einfahren. Zu groß war die Gefahr von Zusammenstößen zwischen Nazis und Gegendemonstranten. Die Polizei ermöglichte jedoch, dass ein Zug auf einem anderen Gleis anhalten konnte und Nazis völlig abgeschirmt aus dem Bahnhof geleitet wurden. Eigentlich fehlte nur noch ein roter Teppich. Auch wir überlegten, was wir anschließend zur Verhinderung des Aufmarsches beitragen konnten und kamen zu dem Entschluss eine Demonstration zum offiziellen Kundgebungsplatz des „Bündnisses gegen den Naziaufmarsch in Stollberg“ anzumelden. Diese wurde relativ schnell genehmigt, was die Polizei dazu verpflichtete uns den Weg zur Kundgebung zu ermöglichen. Doch das Recht zu haben bedeutet noch lange nicht das Recht zu bekommen. Das mussten wir auf unserer Route immer wieder feststellen. Viele kleinere Stopps aus fadenscheinigen, unverständlichen Gründen verlangten uns immer wieder Geduld und Ruhe ab.

Eine Aktion der Polizei war jedoch an Unverhältnismäßigkeit nicht zu überbieten und entbehrte zudem jeder gesetzlichen Grundlage. In einem Wohnviertel in der Nähe der Naziroute wurden wir für mehr als eine Stunde von der Polizei gekesselt, und das nur, weil ein Polizist seine Dienstanweisung verloren hatte und der gemeine Polizist ohne Anweisungen paralysiert ist. Eine weitere Dreistigkeit offenbarte sich in der kollektiven Bezichtigung des Diebstahls, wonach wir mit Leibesvisitationen rechnen mussten, um den Übeltäter ausfindig zu machen. Dass die Teilnehmer der Demo der Polizei auch noch die Unrechtmäßigkeit ihres Vorgehens erklären mussten war das Höchstmaß an Absurdität an diesem Tage. Trotzdem muss auch die Friedlichkeit der Gegendemonstranten Erwähnung finden, die die zahlreichen Sit-ins mit Gleichmut hinnahmen und bis zum Ende gewaltlos blieben. Unterdessen startete der Naziaufmarsch nach vier Stunden Verzögerung, während wir noch die letzten Meter zum Kundgebungsplatz zurücklegten. Ziemlich ermüdet und von der Sonne errötet sahen wir noch, wie sich der Nazitross unter ziemlichen Zeitdruck durch die Stolberger Straßen schlängelte. Lautstark ertönte der Protest, nun auch von einigen Einwohnern Stolbergs, die zum großen Teil auch „Kein Bock auf Nazis“ haben.

Die abnehmende Zahl teilnehmender Neonazis im Vergleich zu den Vorjahren gibt uns in unserem Handeln recht. Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen, dass nicht verschwindet, solange man stillschweigend passiv bleibt. Wenn nun im nächsten Jahr erneut Neonazis durch Stolberg ziehen, können sie sich auf weitere antifaschistische Aktionen einstellen, die hoffentlich noch viel mehr Menschen mobilisieren, damit Nazis kein ruhiges Fleckchen mehr in Deutschland finden.


Erschienen in der grün:fläche im Sommersemester 2011