Perspektiven einer künftigen Postwachstumsökonomie
„Wachstum. Bildung. Zusammenhalt.“ Bereits der Titel des aktuellen Koalitionsvertrages zur 17. Legislaturperiode des Bundestages illustriert die dominante Rolle, welche dem Wirtschaftswachstum allerorten zugestanden wird. Er ist, so lässt sich vermuten, wohl auch nicht bloß als Aufzählung, sondern viel mehr als Rangfolge zu verstehen, sodass im Dienste der Wachstumsbefeuerung entstehende oder perpetuierte gesellschaftliche Widersprüche doch bitte klaglos zu ertragen seien, solange das Wachstum als gesellschaftliches Sinnstiftungselement zu profitieren vermag. In ihrer Bedeutung lässt sich diese Wachstumsfixierung nur vor dem Hintergrund ihrer Verschränkung mit dem neuzeitlichen Fortschrittsgedanken erschließen […]. Einher geht dieses Wachstum mit einer immer umfassenderen Naturausbeutung, die als Produkt wirtschaftlicher Wachstumsaspirationen den Wachstumsbegriff selbst in Frage zu stellen beginnt. Unterdessen wird man auf diversen Klimagipfeln, auf denen vorgeblich höchst besorgte Entscheidungsträger_innen zusammenzukommen pflegen, zuverlässig darüber belehrt, dass man Ökologie nicht gegen Ökonomie ausspielen dürfe. Die Ökonomie wurde jedenfalls in der Tat niemals ausgespielt. Sie wuchs weiter. Und mit ihr die CO2-Emissionen, die weltweit allein seit der Jahrtausendwende um 20% anstiegen. Während engagierte Umweltaktivist_innen vielleicht bald ans Ende ihrer Kreativität in Bezug darauf gelangen werden, wie man nun doch einen grundlegenden Bewusstseinswandel der Massen entzünden könnte, stellt der einzig wirkmächtige Gegner der Emissionsraten derzeit die Rezession dar. Ausbleibendes Wirtschaftswachstum als bestmöglichen Klimaschutz? Ein kurios anmutender Gedanke, doch dieses Wechselspiel funktioniert tatsächlich. Inmitten einer sich dem Wachstum unterwerfenden Welt sollte man sich daher nicht länger der Konfrontation mit fundamentaler Wachstumskritik entziehen, welche die simple Frage formuliert, ob wir nicht auch ohne Wachstum auskommen könnten. Warum sind wir also überhaupt auf Wachstum angewiesen?
Einerseits wird von der Annahme ausgegangen, dass der individuelle Nutzen einzelner Wirtschaftssubjekte mit den Umsatzraten von Gütern und Dienstleistungen steige. Wachstum macht demnach letztlich glücklich. Doch wie zuverlässig ist dieser Zusammenhang? Lässt ein zweiter Wagen für Wochenendfahrten oder eine größere Bildschirmdiagonale unser Dasein im neuen Glanz erstrahlen? Offenbar nicht, wie die sogenannte Glücksforschung nahelegt. Wird mit einem geringen Anfangsniveau begonnen, geht Wachstum mit Glück einher, was den meisten Studenten wohl bekannt sein dürfte, wenn statt dem WG-Zimmer die Wohnung greifbar wird oder die eigene Waschmaschine statt dem Weg zum Waschsalon. Ab einem Jahreseinkommen von 20000 $ wird der Zusammenhang jedoch diffuser. Unter „Easterlin-Paradox“ findet sich das Resultat einer intertemporalen Studie, der zufolge Einkommenszuwächse bei US-Amerikanern nicht mit Zuwächsen des subjektiv empfundenen Glücks einhergehen. Als besseren Prädiktor ließe sich das relative Einkommen heranziehen. Sind wir also, würde man die subjektive Zufriedenheit zum Ziel aller ökonomischen Impulse erheben, gar nicht auf Wachstum angewiesen, solange mehr oder weniger begründete Einkommensdifferenzen bestehen? Dies führt uns zu einem anderen Problemfeld – dem der Arbeit. Wenn bei fortschreitender Produktivität die Beschäftigungsverhältnisse aller Arbeitnehmer, die auf den Verkauf ihrer Arbeitskraft angewiesen sind, im konkurrenzförmigen Marktgeschehen erhalten werden sollen, erfordert dies Wachstum. Nur dann entstehen fortlaufend neue Stellen. Dass diese begehrt sind und auch bleiben, sichert hierzulande ein eigentümliches Verhältnis zur Lohnarbeit, was sich darin äußert, dass für deutsche Bürger, als Teile einer „Arbeitsgesellschaft“, wie es Soziologen umschreiben, Lohnarbeit eine identitätsstiftende Funktion zukommt. Die Hartz-Gesetze, welche vermeintlich selbstverschuldete Arbeitslosigkeit sanktionieren, sorgen für den Rest. Eine Abkehr vom Wachstum impliziert daher eine Neuorganisation der Arbeitszeiten und eine Minderung der Bedeutung von Lohnarbeit. Seinen Schrecken könnten solche Innovationen durch die Einführung eines garantierten Grundeinkommens verlieren, das nicht erst seit gestern Diskursgegenstand ist. Hierdurch würde dem einzelnen Menschen die Möglichkeit eröffnet, sich als autonomes Subjekt verstärkt auf selbstgesetzte Ziele hin zu entwerfen, insbesondere auch auf solche, die mit dem bisherigen Imperativen der Kapitalakkumulation kaum vereinbar waren. Das sehnliche Verlangen hiernach indiziert der neuerliche Trend hin zum „Downshifting“ als Reflex geknechteter Wirtschaftsakteure, die sich so zumindest zeitweise der systemimmanenten Verwertungslogik zu entziehen versuchen.
Wirtschaftswachstum bietet im Vergleich zu solchen Ambitionen, die anstrengende und langwierige Umverteilungsdebatten bedeuten würden, den unter Regierungsakteuren besonders geschätzten Vorteil der Bequemlichkeit, der gegenüber revolutionären Ideen ein verlässliches Verdrängungspotential ausüben wird.
Neben den bereits angeführten Aspekten, weswegen wir auf Wirtschaftswachstum angewiesen sind, fehlt jedoch die wohl fundamentalste Erwägung, welche die Funktionsweise von Unternehmen und dem Kapitalismus selbst analysiert. Unternehmen beginnen ihr Dasein nämlich gewöhnlich nicht mit einem herbeigeschafften Vermögen, welches dann zur Investition in Produktionsmittel verwendet wird, sondern sind zumeist auf Kredite angewiesen. Um diese Schulden tilgen zu können, sind Unternehmen im Marktgeschehen zu Wachstum verpflichtet. Die Wachstumsnotwendigkeit ist daher systeminhärent. Die ZEIT entwickelte einen bildhaften Vergleich, demzufolge man sich den Kapitalismus wie ein Flugzeug vorstellen müsste, welches im Innenraum ein bekömmliches Leben beherbergen kann, aber auf beständigen Schub angewiesen ist, um nicht abzustürzen. Doch auch im Innenraum dieses Flugzeugs kündigt sich ein Problem an. Ein zumeist willentlich ignoriertes Problem. Es betrifft die Anzahl der Passagiere, dessen Wachstum den Treibstoffverbrauch in immer dystopischere Höhen treibt, bis der finale Absturz droht. So müssen wir damit rechnen, bald die 7 Milliarden Grenze zu überschreiten. Werden wir also weiterhin blind dem Schicksal der Osterinselbewohner entgegenlaufen, die es fertig brachten, durch Abholzung der lokalen Waldbestände ihre eigene Zivilisation zu Fall zu bringen, oder werden wir durch schöpferische Kreativität ein neues Konzept des Wirtschaftens kreieren können? Eine konsistente und praxistaugliche Postwachstumsökonomie steht uns tatsächlich noch nicht zur Verfügung. Doch es existieren Ansätze, viele fragmentarische Ideen, deren Verschmelzung zu einer Einheit noch nicht geleistet, sondern vielmehr Aufgabe ist. So werden Schwundwährungen als Kandidaten postwachstumsökonomischer Theoriebildung gehandelt, die laufend an Wert verlieren und somit kaum zinsträchtig verliehen werden können. Der Chiemgauer, eine bayrische Regionalwährung, entwickelt sich gemäß dieses Schwundprinzips. Unternehmen wären in einem solchen Geldsystem nicht mehr zu permanenten Wachstum gezwungen und könnten unbehelligt vor sich hin stagnieren. Andere Vorschläge zielen in die Richtung der Umwandlung von Aktiengesellschaften in Stiftungen, welche nicht dem gleichen Renditedruck ausgesetzt sind, oder Irving Fishers Ansatz des Vollgeldes. All diese Ansätze sind nur als Skizzen zu verstehen, nur als Momente eines Entwicklungsprozesses, der weiterverfolgt werden muss!
Damit diese Umwälzung hin zu einer Postwachstumsökonomie gelingen kann, zeichnet sich die Notwendigkeit der Kooperation verschiedenster Fachrichtungen ab, die auf universitärer Ebene im heutigen Bachelor-Master-System verloren zu gehen droht. Reine volkswirtschaftliche Erwägungen neigen sonst zu einer affirmativen Referenz auf das Bestehende, gegen welche Impulse z.B. der Kritischen Theorie sich als hilfreich erweisen könnten. Philosophisch-geisteswissenschaftliche Theoriebildung vermag oftmals zwar den kollektiven Verblendungszusammenhang (Adorno) zu durchschauen oder tritt zumindest mit diesem Anspruch auf, bleibt jedoch auf andere Wissenschaften angewiesen, wenn wirksame Impulse alle Gesellschaftsebenen durchdringen sollen. Hier können Soziologie, Psychologie (…) ihren unverzichtbaren Beitrag leisten. Nachhaltigkeitskonzepte sind wiederum undenkbar ohne eine Einbeziehung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse. Es gilt daher, sich dem Drang des „effizienten“, geradlinigen und damit oftmals engspurigen Studiums zu entziehen und an dem ursprünglich universitären Anspruch einer universellen Ausbildung aller Vermögen des Intellekts festzuhalten und sich dessen Delegitimation entgegenzustellen. Nur auf solch breiter Basis können Herausforderungen wie die hier skizzierten in Angriff genommen und Lösungsvorschlägen schärfere Konturen verliehen werden. […] Einen Ausbruch aus diesem Problemkomplex erfordert also eine interdisziplinäre Kraftanstrengung! Die Zeit ist reif. „Ökonomie umdenken!“ lautet das Credo!
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