Der Begriff des zivilen Ungehorsams kommt immer dann auf, wenn z.B. wieder mal ein Castortransport durchs Land rollt, oder rechtsextrem gesinnte Menschen versuchen ihre faschistischen Parolen öffentlich zu verbreiten. Aber was genau ist denn das „ziviler Ungehorsam“? Legal ,nicht legal? Nötig, unnötig? Welche Aktionen fallen darunter?

Diese Fragen versuche ich zu beantworten, jedoch sei eins von vornherein gesagt, dieser Begriff ist schwer zu fassen und genau das macht ihn aus.

Ziviler Ungehorsam wird fälschlicher Weise oft mit Revolution oder Umsturz assoziiert, das Gegenteil ist der Fall. Es geht um eine Form von politischer Partizipation, bei der die Bürger_innen bewusst gegen das bestehende Recht verstoßen, um zu symbolisieren, dass ihr „ Gewissen Widerspruch aus Gehorsam gegenüber höherrangigen, der Verfassung jedoch zu Grunde liegenden Menschenrechten verlangt“ (Elke Steven: Ziviler Ungehorsam, in: Ulrich Brand et al: ABC der Alternativen, Hamburg (VSA) 2007, S. 262f.). Dabei bewegt er sich im Spannungsfeld zwischen eben diesem bestehenden Recht, dem er als Staatsbürger unterworfen ist und den von seinem Gewissen vorgegebenen Gerechtigkeitsnormen. Die Beteiligten müssen dabei immer das Gesamtwohl im Auge haben und das Ziel verfolgen durch die Regelüberschreitung auf herrschendes Unrecht aufmerksam zu machen. Dabei muss die unbedingte Bereitschaft bestehen sich den strafrechtlichen Konsequenzen zu stellen.

Zum ersten Mal erwähnt wurde der Begriff des zivilen Ungehorsams (civil disobedience) 1849 von Henry David Thoreau. Sein Anliegen war der Protest gegen den Mexikokrieg und die Sklaverei, den er kundtat, indem er die Zahlung der Steuern verweigerte. Sein Ziel war eine Regierung, die dem Volke dient. Dazu bedarf es „ redlicher Bürger“ (Thoreau, H. D.: Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat, S. 34), die sich verpflichtet fühlen, Gesetze auf ihre Legitimität hin zu überprüfen. Des Weiteren betont er jedoch auch, dass Gesetze eingehalten werden müssen, wenn sich gerecht sind. Auch Mohandas Karamchand Gandhi und Martin Luther King Jr., gelten als Väter des Begriffs zivilen Ungehorsams, wobei Gandhi von zivilem Widerstand sprach und seine Thesen auf den Hinduismus und des Jainismus begründete. Elke Steven merkt an, dass „ Frauen (…) paradoxerweise nicht als Mütter des Zivilen Ungehorsams“ (Elke Steven: Ziviler Ungehorsam, in: Ulrich Brand et al: ABC der Alternativen, Hamburg (VSA) 2007, S. 262f.) gelten. Auch wenn Rosa Parks im Kampf gegen die Apartheid das Gesetz brach und als schwarze Frau im Bus sitzen blieb.

Würde man fragen in welchen Aktionsformen sich der zivile Ungehorsam äußert, wäre die Sitzblockade wohl mit Abstand die Erstnennung. In Deutschland gibt es viele Beispiele zivilen Ungehorsams, die deutlich machen, dass ziviler Ungehorsam nicht gleichzusetzen ist mit Sitzblockaden, auch wenn in den 80er Jahren hier wohl der Höhepunkt bei Blockaden gegen die Stationierung von Atomwaffen lag. Es gibt jedoch eine ungemeine Vielfalt an möglichen Varianten. Eine neu aufkommende Form sind Aktionen gegen den Überwachungsstaat: Einige Tonnen Datenmüll an die Regierung schicken, den Funkchip des elektronischen Reisepasses in der Mikrowelle zerstören usw. Die wohl bekanntesten Beispiele sind: die indische Unabhängigkeitsbewegung, die US-amerikanische Civil Rights Movement, die Anti-Atomkraft-Bewegung, die Friedensbewegung, sowie die Montagsdemonstrationen im Jahr 1989 in der DDR. Eine für den Raum Köln spannende Variante des zivilen Ungehorsams ist die Hausbesetzung. Wie die Entwicklung des Autonomen Zentrums in Köln zeigt, ist der zivile Ungehorsam eine Gradwanderung, bei dem ein Teilerfolg nicht selbstverständlich, aber möglich ist!

Wie schon erwähnt, bewegt sich der Akt des zivilen Ungehorsams in einem rechtlichen Graubereich. Dabei ist zu beachten, dass der zivile Ungehorsam an sich nicht strafbar ist, sondern nur durch seine Ausübung in Form von bestimmten Handlungen rechtlich problematisch wird.
An für sich kann der Akt des zivilen Ungehorsams nicht legal sein, da er „geradezu von der Rechtsverletzung“ (Elke Steven: Ziviler Ungehorsam, in: Ulrich Brand et al: ABC der Alternativen, Hamburg (VSA) 2007, S. 262f.) lebt. Nach Glotz ist ziviler Ungehorsam zu rechtfertigen, wenn dieser sich gegen „schwerwiegendes Unrecht“ richtet und „verhältnismäßig ist“. Das dabei auftretende Problem ist, dass erst im Nachhinein durch Gerichte festgestellt werden kann, ob die Gesetzesüberschreitung legitim und gerechtfertigt ist oder nicht. Ein Urteil kann jedoch Signalwirkung haben. So geschehen als das Bundesverfassungsgericht 1995 feststellte, dass Sitzblockaden keine Form von „nötigender Gewalt“ seien. Unter Nötigung versteht man im Strafgesetzbuch § 240 folgendes:
„Wer einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Rechtswidrig ist die Tat, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist. Der Versuch ist strafbar.“
Als Folge wurden viele Blockierer_Innen freigesprochen. Sitzblockaden gelten heute als Ordnungswidrigkeiten, da sie eine Störung gerichtlicher Abläufe darstellen, welche gemäß Verfahrensrecht mit Ordnungsstrafen sanktioniert werden. Rechtlich kompliziert wird die Auslegung von Gewalt, die in verschieden Gesetzen: Widerstands gegen die Staatsgewalt (§ 111, § 113, § 114 StGB), Gefährlicher Eingriff in den Schienen- (§ 315 StGB) oder Straßenverkehr (§ 315b StGB) und Landfriedensbruchs (§ 125 StGB) unterschiedlich definiert werden. Indem das Bundesverfassungsgericht jedoch 1995 wie erwähnt feststellte, dass Sitzblockaden keine Form nötigender Gewalt sind, dürften Blockierer_innen theoretisch gegen keines dieser Gesetze verstoßen. Auch sind Aktive oft durch die Masse geschützt. Bei Blockaden mit mehreren tausend Teilnehmern_innen ist es unmöglich bei jedem Einzelnen ein Ordnungswidrigkeitsverfahren einzuleiten. Sollte es doch vereinzelt zur Verfolgung kommen, wird die Geldstrafe in der Regel aus einem Solidaritätsfond bezahlt. Nach § 153 der StPO kann das Verfahren auch eingestellt werden, „ wenn die Schuld des Täters als gering anzusehen ist und kein öffentliches Interesse an der weiteren Verfolgung besteht“. Denn nach § 46 II StGB sind auch die Motivation, Ziele und Gesinnung in der Strafzumessung zu berücksichtigen.

Ziviler Ungehorsam wird auch mit dem „Widerstandsrecht aus Art 20 Abs.4 GG begründet“ (Elke Steven: Ziviler Ungehorsam, in: Ulrich Brand et al: ABC der Alternativen, Hamburg (VSA) 2007, S. 262f.) Das Widerstandsgesetz besagt, dass jedem deutschen Bürger das Recht obliegt, gegen jeden Widerstand zu leisten, der die im GG festgelegte „freiheitlich demokratische Grundordnung“ außer Kraft setzt. Hier wird das Dilemma, dem auch dieses
Gesetz unterworfen ist deutlich: Solange die so genannet freiheitlich demokratische Grundordnung besteht, kann das Widerstandsrecht nicht angewendet werden. Besteht die Grundordnung nicht mehr gibt es auf der anderen Seite aber auch keine gesetzliche Grundlage für das Widerstandsrecht. Bei den Friedensdemonstrationen gegen den Irakkrieg wurde jedoch mit dem Widerstandsrecht argumentiert, da Deutschland durch das Grundgesetz „die Vorbereitung von Angriffskriegen“ (Elke Steven: Ziviler Ungehorsam, in: Ulrich Brand et al: ABC der Alternativen, Hamburg (VSA) 2007, S. 262f.) verboten ist, demnach auch die Unterstützung des Krieges.

Elke Steven spricht vom „kleinen Widerstandsrecht“, wenn eine „Aushöhlung der rechtstaatlichen Ordnung“ geschieht: „ Freiheitsrechte werden im Namen der Sicherheit geopfert und völkerrechtswidrige Kriege menschenrechtlich begründet.“
Um den zivilen Ungehorsam rechtlich zu legitimieren, wird auch auf den rechtfertigenden Notstand nach § 34 StGB hingewiesen:
„Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt nicht rechtswidrig, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Dies gilt jedoch nur, soweit die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden.“
Oft wird von Menschen, die zivilen Ungehorsam leisten beklagt, dass sie unter einem großen Gewissensnotstand stehen. Jedoch können genauso gut gegenwärtige Gefahren für z.B. Leben oder Freiheit gefunden werden. Dabei sind sowohl die Rechtsgüter des Einzelnen, als auch die der Allgemeinheit notstandsfähig. Was wird nun unter einer „Gefahr“ verstanden? Eine Gefahr liegt dann vor, wenn durch eine Handlung ein Schaden befürchtet werden muss und wahrscheinlich ist, sofern nicht durch Abwehrmaßnahmen Abhilfe geschafft wird. Nicht derjenige, der den Notstand erleidet, sondern nur ein objektiver Außenstehender kann entscheiden, inwieweit es wahrscheinlich ist, dass ein Schaden zu befürchten ist. Wichtig vor allem auch für Antiatomkraftdemonstrationen ist, dass unter den Gefahrenbegriff auch die so genannte Dauergefahr gefasst wird. Am Beispiel der AKWs liegt hier ein Zustand vor, der dauerhaft Gefahr für Leben und Leib bedeutet, dabei ist nicht auszuschließen, dass der Eintritt des Schadens noch eine Weile auf sich warten lässt. Des Weiteren darf die Gefahr nicht anders abwendbar sein, als durch die Notstandshandlung. Die Handlung muss angemessen sein und es darf kein milderes Mittel geben als das verwendete.

Es wird deutlich, dass der Akt des zivilen Ungehorsams rechtlich schwer zu fassen ist. Auf der einen Seite ist dies positiv, da er als Gesetzesüberschreitung gemeint ist, um den Notstand des eigenen Gewissens auszudrücken. Auf der anderen Seite ist die unsichere Rechtsgrundlage auch kritisch zu sehen, da das Recht seine Bürger_innen schützt. Ziviler Ungehorsam legitimiert rechtlich daher gesehen verhältnismäßige Polizeigewalt. Von einfacher körperlicher Gewalt bis hin zu in Gewahrsamnahme, Schlagstock-, Hunde-, Pferde-, Wasserwerfer-, Pfeffersprayeinsatz. Auf der anderen Seite wird es zu immer neuen Formen des zivilen Ungehorsams kommen, da sich viele Menschen von der Politik nicht ernst genommen fühlen. So beschlossen z.B. manche beim Castortransport 2010 nicht mehr nur in einer Sitzblockade zu sitzen, sondern zu Schottern. Die Politik hat hier die Verschärfung der Proteste zu verantworten.

Literatur:

  • Elke Steven: Ziviler Ungehorsam, in: Ulrich Brand et al: ABC der Alternativen, Hamburg (VSA) 2007, S. 262f.
  • Glotz, Peter (Hrsg.) (1983): Ziviler Ungehorsam im Rechtsstaat, Frankfurt/M
  • Wikipedia, die freie Enzyklopädie
(von Lucas Riecks)
Erschienen in der grün:fläche im Sommersemester 2011