„Willkommen zu einem neuen Abenteuer von Andi und seinen Freunden. Wie ihr sicher schon aus den ersten beiden Heften wisst, setzt sich Andi für Demokratie und gegen Extremismus ein.“ Diese verheißungsvollen Sätze, die Jugendliche als Sprechblasentext neben der Comicfigur-Version Dr. Ingo Wolfs (ehemaliger Innenminister NRWs) bei der Lektüre des vom Verfassungsschutz NRWs publizierten Comics begrüßen sollen, heißen die Leser_innen zugleich willkommen auf den Spuren imposanter begrifflicher Leere.

Sobald politische Bewegungen oder Positionen diffamiert werden sollen, ist die Rede nämlich nicht, wie es noch vor einiger Zeit üblich zu sein pflegte, von Radikalismen, sondern vom „Extremismus“. Radikal hat nach Karl Marx schließlich den analysierenden Griff an die Wurzel des Gegenstandes zur Bedeutung, der zum Ziel der Kritik wird, sodass der Begriff des Radikalismus durchaus mit dem jeweiligen Selbstverständnis konform zu gehen vermochte. In welcher Hinsicht diese Radikalität nun bestand, erforderte eine differenzierte Betrachtung der jeweiligen politischen Denkmodelle, inklusive langwieriger theoretischer Erörterungen und ähnlichen unbequemen Umwegen. Viel einfacher gestaltet sich das Vorgehen, wenn man simplifizierend all das, was der eigenen Position fernzustehen scheint oder sich gar im widersprüchlichen Verhältnis hierzu befindet, mit einem einzigen Begriff versieht. Natürlich unter Vernachlässigung aller inhaltlicher Differenzmomente. Das Resultat ist ein Begriff, der letztlich nichts über seinen Gegenstand aussagen kann. Definiert werden soll er über die Gegnerschaft zur so genannten Freiheitlich demokratische Grundordnung (FdGo), die der Bundeszentrale für politische Bildung zufolge sowohl Normen und Ordnungsprinzipien des demokratischen Verfassungsstaates, als auch die ökonomische Verfasstheit desselben, umfasst. Extremistisch sei darüber hinaus die Opposition gegen gesellschaftliche Pluralität und Toleranz, wie auch die Verwendung monokausaler Erklärungsschemata. Das jeweilige Verhältnis zur FdGo fungiert dann als alleiniges Definitionsmerkmal, wenn nicht mehr von Radikalismus, sondern von Extremismus gesprochen werden soll. Die vorherrschende Gesellschaftsordnung und der ihr angeblich immanente Erneuerungsdiskurs böte durchaus Raum für radikale Meinungsgehalte, aber gegen die FdGo zielende Aktivitäten wären als extremistische Bestrebungen verfassungsrechtlich stets zu beobachten. Dem Verfassungsschutz liefert diese Klassifizierung dann neben bloßen Benennungsdifferenzierungen auch die Definition dafür, welche Objekte unter die offizielle Beobachtung fallen und sich im Verfassungsschutzbericht wiederfinden. Zum Teil verzichtet man auch auf diese mit den Begriffen, radikal sowie extremistisch, operierende Terminologie. Der umstrittene Politikwissenschaftler Eckard Jesse, der nicht müde wird vor heraufdämmernden „Linksextremismus“ zu warnen, greift ausschließlich auf graduelle Variationen innerhalb des Extremismusfeldes zurück. Als Hintergrund soll nicht unerwähnt bleiben, dass Jesse beispielsweise von der „Initiative gegen jeden Extremismusbegriff“ begründet Kontakte zu Protagonist_innen der Neuen Rechten unterstellt werden, was als außerwissenschaftliche Motivation solche Begriffsverwendungensaspirationen plausibel macht. Das Kernstück der Extremismustheorie ist das (implizite) Postulat einer abgrenzbaren politischen Mitte. Problematische Positionen erscheinen dann außerhalb dieses neutralen Konstrukts angesiedelt, sodass dieses gegen jene verteidigt werden muss. Inhärent ist dieser Logik die formale Gleichheit von allem, was einmal als extremistisch stigmatisiert wurde. Ergo wird alles Extremistische auch in gleicher Weise bekämpft – neuerdings sogar aus denselben (begrenzten) Finanztöpfen. Diesem Versuch der Delegitimation sehen sich diverse Kräfte des linken Spektrums ausgesetzt, seien es Antifaschist_innen, Linksautonome, Umweltaktivist_innen oder emanzipatorische Kulturprojekte. Verschleiert wird mit der Annahme dieses „Hufeisenmodells“, dessen „extremistische“ Enden sich womöglich auch noch zukünftig berühren könnten, die Existenz und Konsensfähigkeit zahlreicher Versatzstücke nationalsozialistischer oder deutschnationalistischer Ideologie in der gesamtgesellschaftlichen „Mitte“, sodass Kritik an dieser mit Hilfe des Extremismusbegriffs tabuisiert wird. Außerdem können Überschneidungen vermeintlich nicht-extremistischer konservativer Strömungen, für die eigene Strukturkategorien formuliert werden, mit rechts-„extremistischem“ Gedankengut der Thematisierung entzogen werden.

Entgegen dieser Klassifikationspraxis, die letztlich keine Erklärung für das vorgefundene soziale Phänomen liefern kann, muss anerkannt werden, dass auch „extremistische“ Einstellungen im gesellschaftlichen Alltag wurzeln und genau diese gesellschaftliche Bedingtheit Eingang in die Analyse finden muss. Will man nämlich eine Reduktion auf bloße Deskription verhindern, auf die der Extremismusbegriff unweigerlich zurückfällt, wenn anstatt einer Definition auf eine Addition von Merkmalen, die sein Wesen bestimmen soll, verwiesen wird, wird die Zuwendung zu dem Ursachenkomplex rechter Einstellungen erzwungen. Solche Einstellungen werden oft, wie der Bielefelder Konfliktforscher Wilhelm Heitmeyer darlegt, von Älteren an Jüngere weitergegeben, wobei nur letztere aufgrund sichtbarerer Gewaltneigungen die Problemwahrnehmung selektiv prägen. Rechtsextremismus wird so zum Jugendproblem (v-)erklärt. Genau solche Reproduktionsmechanismen innerhalb der vermeintlichen „Mitte“, wie die Weitergabe zwischen Generationen, geraten durch den Extremismusbegriff aus dem Blick. Darüber hinaus erweist sich solch ein suggeriertes bipolares Achsenmodell, bestehend aus der einen Mitte zwischen zwei Extremen, als unterkomplex. Dieser Umstand ließ alternative, doch bisher leider wenig beachtete, zweidimensionale Politikmodelle entstehen, deren Skalen einerseits zwischen Marktfreiheit und sozialer Gerechtigkeit und andererseits zwischen Liberalismus und Autoritarismus differenzieren (vgl. das Modell Gero Neugebauers) und so die eindimensionale Logik durchbrechen. Fragt man nämlich nach substanziellen Unterschieden zwischen sehr linken und sehr rechten Positionen, die einen identifizierenden (Sammel-)Begriff verunmöglichen, so lässt sich in Anschluss an Bernhard Schmid das Argument in Anschlag bringen, dass sich innerhalb der Bandbreite linker Politik sowohl emanzipatorische, als auch reaktionäre Entwicklungen finden lassen, während rechte Agitation stets darauf zielt, (zumeist als natürlich verklärte) gesellschaftliche Hierarchiebildungen zu legitimieren und vorgefundene Ressentiments in mobilisierungswirksame Programmatik zu überführen. Beides in seiner Mannigfaltigkeit an Variationen kategorial gleichzusetzen hat also einen aussagelosen Oberbegriff zur Folge, der nur von dem Hintergrund eines Konstrukts politischer Mitte Bestand haben kann. Auf eine andere Ebene zielen strukturell orientierte Extremismuskonzeptionen, die eine Gruppierung genau dann als extremistisch ausweisen, wenn Kriterien wie eine dogmatisch ausgelegte Programmatik, das Bestehen strenger Hierarchien und die Reduktion menschlichen Seins auf pure Funktion, mithin die einhergehende Liquidation des Individuums, erfüllt werden. Solche übergreifenden Strukturmerkmale zum Teil inhaltlich gegensätzlicher politischer Bewegungen, die im Sinne von Befürchtungen einer „Querfront“ nicht ignoriert werden dürfen, ließen sich zwar sinnvoll begrifflich fassen, doch kann dies ein Extremismusbegriff solange nicht leisten, wie er in seiner Funktion als Kampfbegriff Teil konkreter politischer Kalküle ist. Vergleichbar erging es schon sehr viel früher dem Totalitarismusbegriff, der Kommunismus bzw. Stalinismus in die Analyse antizivilisatorischer Systemformen integrieren sollte, was vom Faschismusbegriff so nicht geleistet werden konnte. Doch auch er wurde zum Propagandainstrument und ist somit, spätestens seitdem er den Kalten Krieg ideologisch begleitete, als normativer Begriff zu verstehen. Gerade aufgrund der exekutiven Gleichsetzung theoretisch diskutierter Parallelen, die den notwendigen legitimen Diskussionsraum über kollektive Zukunftsfragen einschränkt, ist dem derzeitig ziemlich in Mode gekommenen Extremismusbegriff und damit zugleich der Generalapotheose der politischen „Mitte“ entgegenzutreten!

Zumindest bei den Comics steht das Mittel der Wahl glücklicherweise schon bereit: als Antwort auf „ANDI“ brachte die antifaschistische „Gruppe 5“ aus Marburg das kritische Gegencomic „MANDI“ heraus, das ihr euch unter http://mandi.blogsport.de/ anschauen oder gleich bestellen könnt, um Menschen in eurer Umgebung auf diese Problematik aufmerksam zu machen.

(von Cedric Waßer)