Schon wieder ein Text über Ernährung und Fleischkonsum. Das ist ja so 2010. Vegetarismus als Teil eines hipsteresken Lebensstils. Mehr gesundes Essen in den Schulen. Jamie Oliver, der Küken vor laufender Kamera umbringt, um auf die haarsträubenden Vorgänge in Schlachtereien aufmerksam zu machen. Jonathan Safran Foer und sein Buch „Eating Animals“. Wieso muss man sich eigentlich immer von allen Seiten in sein Mittagessen reinquatschen lassen? Schon seit längerem nimmt das Thema Ernährung einen großen Stellenwert im gesellschaftlichen Raum ein und ist Anlass für hitzige Diskussionen. Auch die Einführung eines veganen Gerichts in der Hauptmensa der Universität hat sicherlich schon für Gesprächsstoff gesorgt – hurra, denken manche und freuen sich auf Sojaspieß und Tofubratlinge. Während andere die Augen verdrehen, genüsslich an ihrem Hähnchenbrustfilet „Kaschmir“ knabbern und die Ökoidioten belächeln.
Laut einer Studie des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ernähren sich 1,6 % aller in Deutschland lebenden Menschen vegetarisch. Die Tierschutzorganisation PETA spricht von sechs Millionen Vegetarier_innen. Dass Vegetarismus und Veganismus gesundheitliche Vorteile bringen, ist wohl nicht abzustreiten. Menschen, die auf Fleisch oder gar völlig auf tierische Produkte verzichten, leiden zum Beispiel seltener an Übergewicht, haben bessere Cholesterinwerte und damit ein geringeres Risiko für Herzkreislauferkrankungen. Immer stärker in den Vordergrund von Forschungen rückt auch die Auswirkung der Ernährung auf die Entstehung von Krebs – Nüssen und Gemüse wird oftmals eine Schutzfunktion zugesprochen. Vielleicht ist dies jedoch auch auf einen allgemein gesundheitsorientierteren Lebensstil zurückzuführen – Leute, die sich bewusst mit dem auseinandersetzen, was sie essen, treiben häufiger Sport, trinken und/oder rauchen weniger. Gleichzeitig ist allerdings auch bekannt, dass durch fleischfreie Ernährung Mangelerscheinungen auftreten können. Gerade Vitamin B12 kommt nur in tierischen Produkten vor und kann durch Ernährungszusätze nicht immer ersetzt werden, was bei Schwangeren, älteren Menschen oder Kindern zu Problemen führen kann. Die deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) rät aufgrund dessen sogar davon ab, sich dauerhaft vegan zu ernähren, während sie bei ovo-lacto-vegetarischer Ernährung – das heißt: kein Fleisch, aber Eier, Milch, Käse, etc – keine Probleme sieht. Veganer_innen wehren dies mit dem Argument ab, die DGE sei mit Fleisch- und Landwirtschaftslobbyisten durchsetzt.
Den gesundheitlichen Aspekt außer Acht lassend: Ein Blick in das Kühlregal im Supermarkt gibt einem schon zu denken. Neben Widerlichkeiten wie Bärchenwurst und Mini-Wini-Würstchenketten stapeln sich Putenbrüste fragwürdiger Herkunft zu einem Spottpreis. 2,50 Euro für 500 Gramm Schweinehack – das ist schon ziemlich wenig, wenn man bedenkt, dass da ein Säugetier drin steckt, welches in der Lage ist, sein eigenes Spiegelbild zu erkennen und unter natürlichen Lebensbedingungen ein ausgesprägtes Sozialverhalten an den Tag legt. Eklig soll es ja auch bei Wiesenhof zugehen. „Deutschlands Geflügelmarke Nummer 1“, wie es auf deren Webseite heißt, versorgt uns zum Beispiel mit „Leckereien“ wie dem Bruzzler und zeichnet sich verantwortlich für den Tod von über vier Millionen Hühnern pro Woche. PETA und Foodwatch wettern schon länger gegen den Geflügelproduzenten, und gerade hat der Stern über untragbare Hygienezustände in deren Schlachtbetrieb in Möckern (Sachsen-Anhalt) berichtet. Neben Schimmel und zu hohen Temperaturen in den Räumlichkeiten sollen geschlachtete Tiere durch ihren eigenen Kot verunreinigt worden sein. Dazu betrage die Zeit, die zur Kontrolle der Tiere auf Krankheiten angesetzt ist, nur knapp eine Sekunde. Wiesenhof möchte nun rechtliche Schritte einleiten und streitet die Vorwürfe ab. Unabhängig der hygienischen Zustände – die vier Millionen Hühner in der Woche haben sicher kein angenehmes Leben im Tageslicht oder gar auf einer Wiese verbracht. Massentierhaltung ist eine widerliche Angelegenheit, auch ohne Vogelscheiße. Und das alles, um die Nachfrage zu decken.
Die Zeiten des Verzichts sind schon lange vorbei, nie sahen wir uns oder unsere Eltern sich mit Hungersnöten konfrontiert – wir sind gewohnt, beim Einkaufen genau das zu bekommen, was wir suchen, in genau der Menge, die wir haben wollen und genau dann, wenn wir es wollen. Doch irgendwie wird das Tier dabei zur Wegwerfware. Die Distanz zwischen Produktion und Konsum ist so groß geworden, dass es uns kaum kümmert, wo eigentlich herkommt, was wir essen. Oder unter welchen Umständen es entstanden ist.
Hin und wieder mal ein Sojaspieß ist vielleicht doch nicht so verkehrt. Und wenn es nur für das gute Gewissen ist.
(von Philip Oeser)
Erschienen in der grün:fläche im Sommersemester 2011
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