Zuflucht Europa? – Festung Europa!

Europäische Grenzpolitik, das Massengrab Mittelmeer und dessen Hüter Frontex

2008 gab es, Schätzungen vom UN-Flüchtlingswerk UNHCR zufolge, weltweit rund 42 Millionen Menschen auf der Flucht. Dies sind mehr als nach Ende des Zweiten Weltkriegs und mehr als eine Verdoppelung zu den Zahlen des Jahres 2004. Rund 26 Millionen auf der Flucht befindliche Menschen sind nach wie vor im eigenen Land, sie sind so genannte Binnenflüchtlinge, die restlichen 18 Millionen haben die Flucht in Drittstaaten angetreten. Viele von ihnen befinden sich auf dem Weg ins vermeintlich sichere Europa.

Mit der Genfer Flüchtlingskommission haben sich alle Staaten der EU dazu verpflichtet Menschen Zuflucht zu gewähren, die u.a. aufgrund von ihrer Zugehörigkeit zu Ethnie, Religion, Nationalität oder ihrer politischen Überzeugung verfolgt werden. Grundsätzlich gilt nach der Konvention das Prinzip des Non-Refoulment, der Schutz vor Ausweisung und somit Abschiebung. Auch verbietet es Staaten, Flüchtlinge von ihren Grenzen abzuweisen und diese somit daran zu hindern Asyl zu beantragen. Allen Flüchtlingen ist demnach Zugang zu europäischen Grenzen und zu
fairen Asylverfahren zu gewähren.

Der Blick nach Europa zeigt jedoch, dass die Zahlen der in ankommenden Flüchtlinge seit 2005 um 30% zurückgegangen sind. Obwohl die Zahlen der Flüchtlinge höher sind als je zuvor, kamen nie so wenige in Europa an wie heute. Wie aber kommt es dazu?

Ein Sprung in eines der Herkunftsländer von Flüchtlingen, den Sudan: Wer etwa von Darfur nach Europa flüchtet muss Luftlinie 3849km zurücklegen, um zu der spanischen Exklave Ceuta zu gelangen. 3849km auf dem Landweg, um an einem 6m hohen Zaun mit automatischen Tränengasanlagen, Nato-Stacheldraht, Wärmekameras, alle 600 Meter einen Wachturm und Soldaten mit Gummigeschossen zu stehen. Wer es tatsächlich schafft dieses Instrument des “Migrationmanagements” zu überwinden, ist zwar in Europa, aber sitzt fest in einem Freiluft-Transitbereich an der Meerenge von Gibraltar. Ceuta nämlich liegt wie Spaniens zweite Exklave Melilla auf afrikanischem Kontinent und bildet gemeinsam mit dieser die einzige direkte Grenze zwischen Europa und Afrika. Die Kontrolle von unliebsamer Migration hat hier das Non-Refoulment Prinzip längst verdrängt.

Warum also nicht gleich in ein Flugzeug steigen und nach Europa fliegen? Ein Flugticket kann schließlich zumindest kaufen, wer das nötige Kleingeld besitzt. Und verglichen mit dem Versuch sich nach einer Reise quer über den afrikanischen Kontinent von Schleppern nach Europa einschleusen zu lassen, ist ein Flugticket sogar recht erschwinglich. Solche Reisen, die oft Jahre dauern, kosten nach Angaben von jenen, die sie antraten, bis zu 12.000 US$. Ein Flugticket von Khartoum, Sudan nach London Heathrow kostet mit Qatar Airways 308,64Euro. Ein Ticket für den Flieger ist jedoch noch längst kein Ticket für London. Denn dort gilt Visumspflicht, und ein solches ist schon vor Antritt der Reise vorzuweisen. Die EU hat alle Fluggesellschaften, die Flüge nach Europa anbieten verpflichtet, deren Passagiere auf gültige Reisedokumente sowie Visa zu kontrollieren. Wer kein solches Visum hat, darf das Flugzeug nicht betreten. In Deutschland bleiben die Fluggesellschaften bei Asylbewerber_innen sogar drei Jahre in der Pflicht, diese auf eigene Kosten in ihre Herkunftsländer zurückzuführen, sofern ihnen Asyl verweigert wurde.

Flüchtlingen aus Krisenregionen wird somit die direkte Einreise nach Europa erschwert bis unmöglich gemacht. Resultat daraus sind nach Schätzungen der marokkanischen Regierung 50.000 Afrikaner_innen, die auf ihre Gelegenheit warten den Grenzzaun zu überqueren. Es sind all jene, die sich keine Überfahrt in einem der vollen Boote durch das Mittelmeer leisten können oder die sich den großen Gefahren nicht aussetzen wollen. Das Mittelmeer ist im Begriff, ein riesiges Massengrab zu werden. Jährlich versuchen eine halbe Million Menschen die trennende Wasserbarriere auf Booten zu überqueren. In den letzten Jahren sind rund 20.000 von ihnen bei dem Versuch gestorben. Die Boote stechen in der Regel nachts in See, besonders bei starkem Wellengang und stürmischem Wetter. Provoziert ist dieses enorme Risiko durch patrouillierende Boote auf den Seewegen des Mittelmeers. Ausgerüstet mit Technik zur Erfassung herannahender Boote haben die Patrouillen die Aufgabe, „illegale“ Migration zu verhindern. Unterstützt werden sie von unbemannten Sonden zur Aufklärung aus der Luft. Eine Chance zur unentdeckten Überfahrt gibt es daher in der Nacht, am besten bei Sturm.Die Zeit an der das Risiko am höchsten ist.
Hinter den Patrouillen steht die Grenzschutzagentur Frontex. Ins Leben gerufen wurde sie 2005 von der EU, bewusst geschaffen als Agentur statt als europäische Polizei. Frontex nämlich ist kein EU-Organ, sondern zum Teil privater Dienstleister. Dies hat für die EU zum Vorteil, dass Frontex sich selbst kontrollieren kann, anstatt gewählten Organen Rechenschaft ablegen zu müssen. Dennoch arbeitet Frontex eng mit der Polizei der einzelnen EU-Mitgliedsländer zusammen, welche zumeist ausführendes Organ von Frontex Operationen darstellt. Aufgabe von Frontex ist „Migrationsmanagement“, das heißt Risikoanalysen zu den europäischen Land-, Luft- und Seegrenzen. Fluchtlingsrouten werden untersucht und in die Strategie der Grenzsicherung miteinbezogen. Die Tentakel von Frontex reichen jedoch weit über die eigentlichen EU-Grenzen hinaus. Bilaterale Abkommen mit Nicht-EU-Staaten wie Marokko, Algerien, Mauretanien und dem Senegal ermöglichen den Einsatz der Mitarbeiter_innen in eben diesen Ländern. Sie führen Schulungen zu Dokumentkontrollen an großen Transitflughäfen wie Istanbul in der Türkei, Nairobi in Kenia oder Delhi in Indien durch, teilweise sogar wirkt Frontex-Personal bei den Kontrollen direkt mit. In den Hoheitsgewässern von Senegal und Mauretanien patrouillieren Frontex-Boote, um ablegende Flüchtlingsboote mit dem Ziel Kanarische Inseln noch vor Eintritt in internationale Gewässer „zum eigenen Schutz“ an die heimische Küste zwangsrückzuführen.

Wer trotz Mauern und Zäunen, Stürmen und Kontrollen auf See, Repression und Schikane auf dem Weg zu den Grenzen die Festung Europa erreicht, darf sich noch nicht in Sicherheit wähnen. Die Asylanerkennungsquote in Deutschland liegt momentan bei 35,2%. In Griechenland sind es gerade mal 2,7%.

Daniel Heyen

Daniel Heyen

1 Kommentar

  1. jonas

    Artikel verlinkt auf borderline-europe.de vielen dank dafür

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