… von der Blockade des Naziaufmarsches in Dresden
Seit der Jahrtausendwende kommt dem jährlichen Aufmarsch der NPD und der JLO, der sich zur größten regelmäßig stattfindenden Neonazizusammenkunft Europas entwickelt hat, sowohl als Indikator für die Stärke rechter Bewegungen wie auch als Raum interner Vernetzung und Koordination dieser rechten Kräfte eine über Deutschland hinausgehende Relevanz zu. Angestrebt wird die Konstruktion eines unschuldigen deutschen Opferkollektivs nach innen und die Feindkonstruktion nach außen, welche mithilfe geschichtsrevisionistischer Agitation die Alliierten als verbrecherische Siegermächte zu verklären versucht. Die Pflege dieses Opfermythos, der als identitätsstiftendes Element des rechtsextremen Selbstverständnisses angesehen werden kann, vermochte in den vergangenen Jahren in dieser Funktion bestehende Konflikte zwischen rechten Gruppierungen in den Hintergrund treten zu lassen, sodass gegen diese symbolisch geschlossen auftretenden Rechtsextremist_innen nur ein breites Bündnis entschlossener Akteure Erfolg haben konnte. In Anlehnung an die erfolgreiche Blockade des AIK in Köln setzte man, nachdem im Vorjahr 4000 antifaschistische Aktivist_innen den geplanten Aufmarsch nicht verhindern konnten, auf eine Vielfalt an Aktionsformen, wobei im Zentrum die friedliche, aber entschlossene und flexibel organisierte Blockade stand. Angesichts der Bedeutung dieses Aufmarsches für die europäische Rechte erschien aufgrund unserer spezifischen historischen Verantwortung die Aktionsform der Blockade notwendig, von welcher der folgende, seiner Natur nach subjektive, Erlebnisbericht:
Wir starteten hier gegen 0 Uhr am DGB-Haus, wo ich leider feststellen musste, dass noch ein paar Plätze im Bus frei waren, was deswegen schade war, da auf jeden Fall noch mehr Leute mitfahren wollten als Karten verfügbar waren. Die Fahrt selbst verlief dann angenehm ruhig, trotz Schnee allerorts. Wegen an Angriffen auf Gewerkschaftsbusse letztes Jahr fuhren wir durchgängig im Konvoi, da die Fahrer zwangsweise zweimal an Raststätten pausieren mussten. Für die jeweiligen Raststätten war das sicher recht lukrativ, wenn an die 10 Busse dort gleichzeitig hielten.
Erstaunlicherweise wurden wir nie polizeilich angehalten oder kontrolliert, sodass wir auch nah an unseren geplanten Blockadepunkt herankamen. Spätestens da endete auch die bisherige Ruhe, da trotz allgemeiner Benommenheit nach 5 Stunden Halbschlaf plötzlich der Ruf ertönte, wir sollten möglichst schnell aus dem Bus klettern, um nicht direkt von der Polizei abgefangen zu werden. Die Szenerie danach erinnerte mich etwas an eine Landung auf einem Schlachtfeld. Kaum hatte man den Fuß auf Dresdener Boden gesetzt, schnellte schon Bereitschaftspolizei heran, drängte und schob uns alle in Richtung der Elbbrücke – überall Hektik, Geschrei und Verwirrung, da erstmal niemand so genau wusste, wo man überhaupt war, wo man hinsollte und wo der Rest der Protestierenden sein sollte. Infolgedessen versuchte dann ein Teil von uns, Richtung Bahnhof durchzubrechen, wo sich die Nazis sammeln wollten, was, soweit ich sehen konnte, keinen Erfolg hatte (einzelne wurden schon da zu Boden geworfen und im Schnee festgehalten). So ließen wir uns erstmal in Brückenrichtung leiten. Nach der anfänglichen Aufregung begann man langsam sich planvoller zu formieren und die Situation besser zu überblicken. Uns war klar, dass wenn es gelingen sollte, uns über die Brücke zu leiten, die Blockadestrategie hinfällig wäre, weswegen man unter einer Bahnbrücke zum stehen kam und mehr oder weniger systematisch Verhandlungen mit der Polizei aufnahm, die auch scheinbar vor keiner allzu spezifischen Befehlslage handelte, was sich in widersprüchlichen Anweisungen an uns offenbarte. Irgendwie schien man dann auf einmal kein Problem mehr mit uns auf der Durchgangstraße unter dieser Bahnbrücke zu haben, sodass wir dort vorerst bleiben sollten und auch blieben.
Als man sich nach einiger Zeit dort eingerichtet hatte, strömten glücklicherweise viele Blockierer_innen aus Weimar zu uns, womit wir zahlenmäßig die kritische Grenze überschritten und nicht mehr so einfach gekesselt bzw. geräumt werden konnten. Diesen Blockadepunkt konnten wir dann den ganzen Tag über halten. Das Hauptproblem bestand erwartungsgemäß in der Kälte, die sich langsam und unaufhaltsam über Füße und Beine in den Körper fraß. Selbst Isolierfolie in den Schuhen konnte das letztlich nicht verhindern. Nazis selbst bekamen wir am Blockadepunkt nie zu Gesicht, da dieselben durch unsere Blockierung der Zufahrtswege kaum zum Versammlungsort kamen und dort dann festsaßen. Die Blockadestellung auf einer Brücke wurde wohl laut Infodurchsagen recht gewaltsam geräumt; alle anderen konnten aber gehalten werden. Mitunter saßen an anderen Stellen in den ersten Reihen zB. auch Landtagspolitiker der Linken, was eine Räumung brisanter gemacht hätte. Bei uns blieb es dagegen nach diesen Anfangsvorgängen völlig ruhig, gegen Mittag ließ man uns sogar erstaunlicherweise auf eine Kreuzung vor der Brücke, was wir anfangs als Falle interpretierten und erst später nutzten. Gegen aufkeimende Langeweile half ein umfangreiches Helikopterspektakel am Himmel, die beständig vor sich hinkreisten. Im Blockadekollektiv selbst verlief die Selbstorganisation harmonisch; man hatte schon auf der Hinfahrt Bezugsgruppen gebildet, die jeweils einen „Delegierten“ in basisdemokratische Treffen entsandten. Dort wurde dann über das weitere Vorgehen beraten und entschieden. Für schnelle Interventionen gab es parallel noch einen Aktionsrat, was bei solch einer demoinhärenten Dynamik auch sinnvoll ist. Wir wollten dann aber doch mal herausfinden, ob man nicht näher an den Bahnhof herankommt. Dazu kletterten wir über Güterzüge und Mauern am Hinterbahnhof, was uns erstmal recht unbemerkt gelang. Ich bin dann mit einigen wieder zum Blockadepunkt zurückgekehrt, weil wir mit 8 Leuten sowieso wenig hätten ausrichten können, andere kamen noch etwas weiter, wurden dann aber von Polizeipferd-Einheiten zurückgeschickt. Man kam also nicht ran an den Bahnhof. Um 17 Uhr, als sich das Zeitfester des Aufmarsches endlich schloss, feierten wir dann unseren finalen Triumpf. Soweit uns zugetragen wurde, rasteten die Nazis jetzt total aus uns versuchten durch die Polizeiabsperrungen durchzubrechen, wurden aber niedergeprügelt. Das hätte ich dann doch gerne mal gesehen. 😉
Kritisch gestaltete sich die Rückfahrt, da es Orgaprobleme zu geben schien und wir aufeinmal alleine unterwegs waren, was in Hinblick auf die notwendige Rastphase und krass abgefuckte Nazis, die den ganzen Tag tatenlos herumstehen mussten, nicht allzu günstig war. Anscheinend wegen den Ausschreitungen in Gera etc. sahen wir auch auf der Autobahn endlos Einsatzkräfte in Blaulichtfahrt in die entgegengesetzte Richtung fahren, sodass wir alle schon etwas angespannt waren. Als wir nun auf dem Rastplatz, wo zwei weitere Busse auf uns gewartet hatten, ausstiegen und uns umsahen, entdeckten wir einen Reisebus hinter einem Polizeiwagen, also anscheinend Begleitschutz. Da schnell klar wurde, dass dieser nicht zu uns gehört, sammelten wir uns in der Erwartung einer möglichen Eskalation, wenn das nun wirklich ein Nazibus sein sollte. Als dort die ersten Personen ausstiegen, wurde jedoch augenblicklich offensichtlich, dass es sich wohl um eine Rentner-Reisegruppe handelte, die sich sicher etwas darüber wunderte, warum sich in der Dunkelheit des Parkplatzes ca. 50-60 überwiegend schwarz bekleidete Leute formierten und erwartungsvoll bis aufgeregt ihren Reisebus beobachtet hatten (der Polizeiwagen stand nur zufällig vor diesem Bus, was wir dann fälschlich als Begleitschutz interpretiert hatten). Die restliche Fahrt verlief dann ruhig und bot Raum für Gespräche, Diskussionen und später dann für mehr oder weniger vergebliche Schlafversuche (zumindest bei mir). Um 3 Uhr trafen wir wieder in Colonia ein. Insgesamt war das trotz Kälte und Schlafmangel eine gute und wichtige Alternative zu dem gewöhnlichen Karnevalsbetrieb, nächstes Jahr wohl voraussichtlich einmal wieder…
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cool, mein foto hier 🙂
starker text!!
ganz herzliche grüße von berlin nach köln!
ein richtig guter text, den ich so leider noch nicht gefunden habe…gleicht fast meinem erfahrungsbericht, für mich war das ein sehr gewaltiger tag, der viel gedanken aufgewühlt hat…viel an emotionen freigelegt hat…endstation bahnhofsvorplatz ist wirklich sehr gut gewählt…war für mich auch ein sehr prägnantes thema…lg
Liebe FreundInnen aus Köln,
Riesendank für Euer Kommen, Eure Unterstützung – ohne Euch und die vielen anderen von außerhalb hätten wir das nicht geschafft! Das bringt uns einen Riesenschub in Dresden, einen Kulturwechsel!
Seid herzlich willkommen wieder in Dresden, gerne auch bei besserem Wetter – und besonders gerne auch ohne Nazis!